KI in der Hochschullehre

KI in der Hochschullehre

1.06.2024 in Jura & Lehre

Die Glienicker Gespräche 2024 an der HWR Berlin

Seit 1987 veranstaltet die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) die „Glienicker Gespräche“, benannt nach dem ursprünglichen Tagungsort, dem Jagdschloss Glienicke in Berlin-Zehlendorf. Bei diesen jährlichen Tagungen kommen Lehrende sowie Funktionsträger von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften für den öffentlichen Dienst und Vertreter der Praxis zusammen, um über aktuelle Fragen der Lehre und Forschung zu diskutieren. Ein Höhepunkt jeder Veranstaltung ist die Verabschiedung der „Glienicker Thesen“, die Impulse für die Weiterentwicklung der Ausbildung im öffentlichen Dienst geben sollen.

Das 33. Glienicker Gespräch 2024

Vom 15. bis 17. Mai 2024 fanden die 33. Glienicker Gespräche an der HWR Berlin, Campus Lichtenberg, statt. In diesem Jahr stand die Veranstaltung unter dem Thema „Der Umgang mit Künstlicher Intelligenz an den Hochschulen für den öffentlichen Dienst“. Die Tagung bot Vorträge, Diskussionsrunden und themenspezifische Workshops, die sich intensiv mit der Rolle und den Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Hochschullehre befassten.

Zusammenfassungen der Vorträge

Vortrag 1: Prof. Dr. Jörn von Lucke
The Open Government Institute, Zeppelin Universität Friedrichshafen, Deutschland

Von Lucke betonte die vielfältigen Anwendungen der Künstlichen Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung. Er erläuterte, wie KI die Effizienz und Qualität von Verwaltungsprozessen verbessern kann und hob die Bedeutung von Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung staatlicher KI-Systeme hervor. Herausforderungen im Bereich Datenschutz und ethischer Vorgaben wurden ebenfalls diskutiert.

Vortrag 2: Prof. Dr. Albrecht von Graevenitz
Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung

Von Graevenitz beleuchtete den richtigen Umgang mit ChatGPT und anderen KI-Tools an Hochschulen. Er ging auf die Integration von KI in Lehrpläne, die Notwendigkeit klarer Regelungen zur Nutzung von KI und die Förderung von KI-Kompetenzen ein. Dabei wurden sowohl die Chancen als auch die Risiken des KI-Einsatzes im Bildungsbereich thematisiert.

Vortrag 3: Dr. Anna Faust
Humboldt-Universität zu Berlin

Faust diskutierte die didaktischen Implikationen von KI-Anwendungen. Sie hob hervor, wie KI individualisiertes Lernen unterstützen und Lehrende entlasten kann, warnte aber auch vor möglichen Risiken wie dem Verlust kritischen Denkens und Täuschungsversuchen. Verschiedene didaktische Strategien und Lehr-Lern-Settings wurden vorgestellt, um den sinnvollen Einsatz von KI in der Lehre zu fördern.

Vortrag 4: Prof. Dr. Susanne Meyer
Vizepräsidentin der HWR Berlin

Meyer präsentierte eine Strategie zur Integration von KI in die Hochschullehre. Sie erläuterte die Schritte von der Analyse der Ausgangslage über die Formulierung von Leitlinien bis hin zur Implementierung konkreter Maßnahmen. Besondere Bedeutung hatten die Schulung von Lehrenden, die Anpassung von Prüfungsregelungen und die Verankerung von KI-Kompetenzen in den Curricula.

Vortrag 5: Prof. Dr. Stephan Raimer
Ausbildungszentrum für Verwaltung in Altenholz

Raimer gab einen Überblick über aktuelle KI-Anwendungen aus Praxis- und Forschungssicht. Er diskutierte die Rolle von Tech-Konzernen, Hochschulen und Open-Source-Communities in der KI-Forschung und beleuchtete ethische und praktische Herausforderungen. Die Produktivitätsgewinne durch den Einsatz von KI sowie deren Integration in die Lehre wurden ebenfalls thematisiert.

Workshops

Eine langjährige Tradition der Glienicker Gespräche ist die Erarbeitung von Thesen zu den jeweiligen Tagungsthemen in verschiedenen Workshops. Diese Thesen werden am letzten Veranstaltungstag im Plenum vorgestellt, diskutiert und gegebenenfalls modifiziert. Sie dienen als Impulse für die Weiterentwicklung der Ausbildung im öffentlichen Dienst und sollen die praktische Umsetzung der Tagungsinhalte unterstützen. Hier sind die im Jahr 2024 erarbeiteten Thesen im Wortlaut:

Grundlagen (über alle Workshops hinweg):
Es braucht unabhängige und datenschutzkonforme KI-Anwendungen für die öffentliche Verwaltung und für die Hochschulen. Hochschulen sollten diese (auch mit Blick auf die Chancengleichheit) allen Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden zur Verfügung stellen und Schulungen hierzu anbieten. Hierzu bedarf es finanzieller Mittel, die bereitgestellt werden müssen, um KI an den Hochschulen zu implementieren.

Workshop 1: „Der Umgang mit KI in der Hochschullehre“
Moderation: Dr. Mike Weber (HWR Berlin und stellvertretender Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT am Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme)

These 1 – Ertüchtigung der Lehrenden zu Enablern:
a) Lehrende müssen den Mehrwert von KI für die Lehre (KI als Mittel) und die Bedeutung für die Praxis (KI als Gegenstand) erkennen. Dies erfordert nicht zuletzt ein hinreichendes Grundverständnis, einen offenen Mindset und lebenslanges Lernen.
b) (Möglichst viele) Dozierende sollten die Bereitschaft entwickeln, als Multiplikator:innen für die Thematik KI aufzutreten und KI zum Gegenstand ihrer Lehre zu machen.
c) Zur Erreichung dieser Ziele braucht es den Einsatz umfassender Mittel:

  • Niederschwelliges Schulungsangebot mit konkreten, fachbezogenen Übungsmöglichkeiten, um alle zu ertüchtigen, sich für (oder gegen) KI als Gegenstand bzw. als Mittel der Lehre zu entscheiden.
  • Tone from the top – zumindest für Bedeutung von KI als Gegenstand der Lehre.
  • KI-Kompetenz (zumindest KI-Interesse) als Berufungskriterium.
  • Deputatsrelevante Freiräume während des Transformationsprozesses hin zum „neuen Normal“.

These 2 – KI adressiert ein umfassendes Kompetenzprofil für die Zukunft der öffentlichen Verwaltung:
a) Bei den Lehrenden bedarf es im Hinblick auf KI umfangreicher Kompetenzen in den Bereichen allgemeiner Kompetenzen für die Bewertung, Handhabung, Methodologie und technischer Möglichkeiten, Lernen (Wiederholen, Orientieren, Kritisches Denken etc.) und wissenschaftliches Arbeiten im Hinblick auf Kriterien, Quellen und Prozesse.
b) Zur Ertüchtigung der Lernenden bedarf es eines Peer-to-Peer-Learning, Diskussionen, ein „Reden ist lernen“ und ein „Schreiben ist lernen“ (Kleine Projekte, Aufträge, Reflektionsteil, Fragen stellen, Fehler in KI-Texten finden).

These 3 – KI als Transformationshebel zur effizienten, bürger:innenfreundlichen öffentlichen Verwaltung:
a) Absolvent:innen müssen den Umgang mit KI beherrschen, weil die Bürger:innen es von ihnen erwarten.
b) Vor Anwendung von KI-Systemen müssen diese „durchdrungen“ sein und entsprechend sensibel eingeführt werden (Awareness).
c) Zugleich sollte das, was niederschwellig möglich ist und „nichts kaputt macht“, schon jetzt verwendet werden (Übungseffekt).
d) Es braucht eine offizielle Liste, welche KI-Programme „gefahrenlos“ in Studium und Lehre eingesetzt werden können (kuratierter Index).
e) Es braucht einen „Chief of AI“ an jeder Hochschule, der mit seinen Kolleg:innen an den anderen Hochschulen kooperieren und KI-Anwendungen für Hochschulen „freigeben“ soll.

These 4 – Prompting als eine aktuell zentrale Kompetenz zur Nutzung von generativer KI (GKI):
a) Prompting (als zielgerichtete Interaktion mit GKI durch Eingaben oder Anweisungssignale) steigert die (digitale) Problemlösungskompetenz der Studierenden. Durch die Nutzung von Prompting-Tools lernen Studierende, wie man effektiv mit digitalen Technologien arbeitet. Dies bereitet sie auf die moderne Arbeitswelt vor, könnte aber auch einzelne Studierendengruppen benachteiligen.
b) Prompting verstärkt den Wandel der Rolle von Dozierenden hin zu Moderator:innen und Coaches, die den Lernprozess der Studierenden begleiten und unterstützen, anstatt reine Wissensvermittler:innen zu sein. Dies kann die Lehre dynamischer machen, verlangt aber auch neue Fähigkeiten von den Dozent:innen.
c) Durch geschicktes Prompting können die individuellen Lernbedürfnisse der Studierenden durch GKI besser berücksichtigt werden. Studierende erhalten personalisierte Lernpfade, die auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten abgestimmt sind. Die individuelle Förderung durch Technik ersetzt dabei möglicherweise einen Teil der persönlichen Interaktion mit Lehrkräften.

Workshop 2: „Hochschulprüfungen angesichts von KI-Anwendungen“
Moderation: Prof. Dr. Erik Kraatz (HWR Berlin)

These 1: Der Umgang mit KI-Anwendungen ist eine unerlässliche Kompetenz für die heutige und zukünftige Arbeitswelt.
These 2: Der Einsatz von KI in Prüfungen ist zurzeit nur schwer rechtssicher überprüfbar.
These 3: Die bestehenden Prüfungsformen sind vor diesem Hintergrund noch einmal kritisch zu überdenken und kompetenzzielgerecht anzupassen. Hierzu könnten bisherige Prüfungsformen angepasst werden, beispielhaft durch:

  • eine komplexere inhaltliche Gestaltung von schriftlichen Prüfungsformen (z.B. durch individualisierte empirische Forschungsarbeiten, durch zusammengesetzte Prüfungen mit Reflexionsanteil – Portfolioprüfungen),
  • durch einen zusätzlichen mündlichen Teil (im Sinne einer kombinierten Prüfung), in dem zum methodischen Vorgehen vertieft nachgefragt werden sollte,
    und/oder neue Prüfungsformen eingeführt werden wie:
  • die Verwendung von Aufgabenstellungen wie der Überprüfung von KI-erstellten Texten,
  • die Einführung von problemorientierten Prüfungsformen.

These 4: GKI-Anwendungen zur Texterstellung sind keine zitierfähigen Quellen, sondern Hilfsmittel, welche sich auf die Eigenleistung auswirken. Die Eigenständigkeitserklärung soll Aussagen zur Art und Weise von deren Verwendung enthalten.
These 5: Das wissenschaftliche Arbeiten ist zu stärken. Hierin ist – auch und gerade in Vorbereitung der schriftlichen Abschlussarbeit – Studierenden u.a. die Kompetenz eines eigenen kritischen Umgangs mit Ergebnissen zu vermitteln.
These 6: Schriftliche Abschlussarbeiten (Bachelorarbeit, Masterarbeit) sollten beibehalten werden, damit Studierende sich mit einem frei wählbaren Thema beschäftigen und damit ihren Interessen folgen können. Dabei soll die Kompetenz des wissenschaftlichen Arbeitens durch die eigenständige Entwicklung erkenntnisleitender Fragestellungen gestärkt werden.
These 7: Die Gewichtung der schriftlichen Abschlussarbeit im Hinblick auf die Gesamtnote des Studiums ist zu überdenken und ggf. zugunsten einer ausgeweiteten mündlichen Prüfung zu verringern.

Workshop 3: „Qualifikationsmodelle zur Kontrolle von KI-Anwendungen in der Praxis“
Moderation: Prof. Dr. Stephan Raimer (Ausbildungszentrum für Verwaltung in Altenholz)

These 1: Von der „Black-Box“ zur „Glass-Box“: KI-Systeme und Anwendungen müssen transparent werden:

  • Stichwort: XAI – Explainable Artificial Intelligence,
  • Transparenz von Trainingsdaten,
  • Nachvollziehbarkeit, Verlässlichkeit von Ergebnissen, Reproduzierbarkeit, Passgenauigkeit.

These 2: Die Zugänglichkeit von KI-Systemen und Anwendungen muss diskriminierungsfrei für Hochschule und Studierende sichergestellt werden (Open Source als „Rettung“?).
These 3: Die Nutzung von KI an den Hochschulen für den öffentlichen Dienst sollte nicht allein über Tools/Technologien, sondern in einem größeren Kontext (Probleme/Daten/Werkzeuge) betrachtet werden.

Fazit

Die 33. Glienicker Gespräche 2024 boten eine hervorragende Plattform für den Austausch über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz in der Hochschullehre. Die Vielfalt der Vorträge und Workshops ermöglichte den Teilnehmenden, sowohl theoretische als auch praktische Aspekte des KI-Einsatzes zu diskutieren. Die Veranstaltung war geprägt von einem offenen Diskurs und bot wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung der Lehr- und Lernstrategien an Hochschulen. Insgesamt war das Treffen ein großer Erfolg und bestätigte die Bedeutung der „Glienicker Gespräche“ als Forum für Innovation und Zusammenarbeit im Bildungsbereich.

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