Deutschlands Weg zum Online-Zivilprozess
Anhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung am 15. Oktober 2025
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Entwicklung und Erprobung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens ermöglicht – mit dem Ziel, Verfahren zu beschleunigen, den Zugang zur Justiz zu erleichtern und die Arbeit der Gerichte datenbasiert zu organisieren. Kern des Vorhabens sind eine einheitliche Kommunikationsplattform, digitale Eingabesysteme für Klagen und der Wechsel vom dokumenten- zu einem stärker datengetriebenen Zivilprozess, etwa durch strukturierten Parteivortrag in gemeinsam bearbeiteten Basisdokumenten. Pilotgerichte sollen das neue Verfahren zunächst für niedrigere Streitwerte erproben; begleitende Evaluationen sind ausdrücklich vorgesehen.
Bei der öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 15. Oktober 2025 stieß der Entwurf überwiegend auf Zustimmung aus Praxis und Wissenschaft – verbunden mit konkreten Verbesserungsvorschlägen. Begrüßt wurden insbesondere die Aussicht auf schnellere Erledigung standardisierbarer Massenverfahren, ein bürgernaher, barrierefreier Zugang sowie die Chance, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, wenn auch die tatsächliche Akzeptanz beim Publikum offenbleibt.
Mehrere Sachverständige plädierten für eine stärkere Nutzerorientierung: Angebote müssten äußerst niedrigschwellig, verständlich und technisch robust sein; zugleich dürfe niemand „leichtsinnig“ in ein Verfahren gedrängt werden. Vorgeschlagen wurde, Evaluationszyklen zu verkürzen und den Anwendungsbereich über die bislang ausdrücklich genannten Fluggastrechte hinaus zu erweitern, damit Länder breiter erproben können. Auch das Verhältnis zu bestehenden Legal-Tech-Angeboten bleibt zu beobachten.

Für die erfolgreiche Umsetzung betonten Expertinnen und Experten die Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Steuerung, früher Einbindung von Datenschutz und Nutzerperspektive sowie eines durchgängigen, sicheren Rechtsverkehrs – etwa durch die Anbindung der Anwaltschaft über das besondere elektronische Anwaltspostfach. Aus Sicht der Richterschaft, darunter Gudrun Schäpers, Präsidentin des Oberlandesgerichts Hamm, des größten Oberlandesgerichtsbezirks Deutschlands, wurde außerdem unterstrichen, dass trotz Digitalaffinität stets im Blick bleiben muss: In der Justiz entscheiden Menschen über Menschen.
Prozessual setzt der Entwurf auf digitale Kommunikation, mehr Verfahren ohne mündliche Verhandlung und den Ausbau von Videoverhandlungen. Gleichzeitig wurde dafür geworben, Präsenzverhandlungen dort als Regelfall beizubehalten, wo digitale Mittel ungeeignet sind oder Beteiligte keinen Zugang haben; die im Entwurf erwähnte telefonische Zeugenvernehmung gilt vor dem Hintergrund verbreiteter Videotechnik als überholt. Für die Erprobungsphase ist eine abgesenkte Gerichtsgebühr vorgesehen. Auch Dolmetscher- und Übersetzerbelange sollen von Beginn an mitgedacht werden; langfristig fordern deren Vertreterinnen die Einführung einer einzigen, bundesweit eingesetzten Plattform.
Politisch markiert der Entwurf den Einstieg in eine Erprobungsgesetzgebung, die bewusst Freiräume schafft, um in einem begrenzten Anwendungsbereich moderne Technologien und neue Abläufe zu testen – mit der Option, auf Basis realer Erkenntnisse nachzusteuern. Nach einer vorherigen, an der Parlamentsauflösung gescheiterten Initiative ist nun eine zügige Verabschiedung gewünscht, damit die Pilotierung tatsächlich beginnen kann. Wer Digitalisierung als Kulturwandel versteht, nicht nur als Technikprojekt, sieht in diesem Gesetz einen Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen, bürgernahen Ziviljustiz.
Vielen Dank an Isabelle Bialass, die mich über ihren LinkedIn-Beitrag (wieder einmal) auf den neuesten Stand des Verfahrens gebracht hat 😉
Schlagworte: Digitalisierung der Justiz, Jura, Justizmodernisierung, Online-Zivilprozess, Zivilprozess
